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Es sollte ein Liebesgeschichte werden

Es sollte eine Liebes Geschichte werden

 

[dropcap]E[/dropcap]s sollte eine Liebesgeschichte werden. Vielleicht. 50 Jahre nach dem Militärputsch in Brasilien (1964) erzählen Clemens und Ida Schrage ihre gemeinsame Geschichte – die Erinnerungen von Flucht und Schmerz geprägte Vergangenheit zwischen drei Ländern – Deutschland, Polen und Brasilien.

Der aus Köln stammende Clemens Schrage, heute Deutsch-Brasilianer war im Jahr 1969 Dozent an der Universität São Paulo. Als Kind reiste seiner Familie in den 50er Jahren von Deutschland nach Brasilien. Er fühlte sich wie ein Brasilianer, obwohl er zu Hause nur Deutsch sprach. Obwohl er keine brasilianische Staatsangehörigkeit hatte, wünschte er sich, dass die schlimme Realität und Unterdrückung während der Diktatur im Brasilien für die Bevölkerung anders wäre.

Es sollte eine Liebes Geschichte werdenJust an den Tag, als er den Eid auf die Verfassung schwören sollte, im 1968, um brasilianischer Staatsbürger zu werden, wurde er von den Militärs festgenommen. “An den Beinen aufgehängt, von Stromstößen versengt, getreten und geschlagen (…)”, schrieb die deutsche Zeitschrift “Der Spiegel” im Jahr 1969 über Clemens Schrage, als er schon im Exil war. Das neue Leben im Deutschland war für ihn ein Exil in der eigenen Heimat. Er sehnte sich nach Brasilien. Dennoch war es die einzige Möglichkeit, um die Diktatur zu überleben.

Als Deutscher, der inzwischen die brasilianische Staatsangehörigkeit angenommen hat, engagierte er sich in der Widerstandsgruppe mit seiner damaligen Partnerin Ida Schrage, deren jüdische Familie aus Polen stammte, in der “Ação Popular” (“Volksaktion”), eine Bewegung der Linken in Brasilien.

In der 60er Jahren nahm Ida Schrage als Studentin im Fach Pädagogik teil und kam mit Paulo Freires marxistisch orientierter Theorie in Kontakt. Sie wollte eine andere Gesellschaft in Brasilien. Einen Staat, wo die Ungleichheit nicht existierten sollte. Eine Ort, wo sich die Menschen von der ökonomischen Unterdrückung befreien könnten. Sie begann, sich in einem Projekt der Alphabetisierungskampagne für Erwachsene zu engagieren. Doch dabei sollte es nicht bleiben.

Ida lernte Clemens als Mitglied einer Widerstandsgruppe gegen die Militärdiktatur im Jahr 1964 kennen. Sie suchten Arbeit in einer Fabrik in Osasco, einer Stadt bei São Paulo, um sie Informationen über das Arbeitsrecht zu erstellten und an die Fabrikarbeiter zu verteilten. Eine Taktik, die auch innerhalb der Linken im damaligen West-Deustchland üblich war. Hierbei, so berichten sie, hätten sie sich verliebt. Es sollte eine Liebesgeschichte werden.

“Du bist ein Verräter deines Vaterlandes, du bist ein Anti-Nazi”, berichtete Clemens im Spiegel im Exil in West-Deutschland über die Folterungen in Brasilien. Ida Schrage, deren jüdische Familie ursprünglich aus Polen stammt und während des Zweiten Weltkrieges nach Brasilien flüchtete, wurde einige Monate nach Clemens Verschwinden festgenommen.

Dops Sao PauloAuch sie wurde Stromstößen und psychologischer Folter ausgesetzt. “Du bist eine Jüdin? Na, bist du eine Kommunistin”, brüllten die Wärter sie an. Solchen Sadismus hatte sie nie zuvor erlebt.

Erst nach einigen Monaten fand sie heraus, dass Clemens im selben Gefängnis war wie sie. Sie befanden sich in einem der schlimmsten Folterzentren von São Paulo – dem Gebäude der gefürchteten Sonderpolizei für politische Aktivitäten, dem DOPS (Departamento de Ordem Política e Social – Staatssicherheit).

 

“Ich sprach mit einem Soldaten, der meine Zelle bewachte. Ich versuchte ihn davon zu überzeugen, dass wir keine Terroristen waren”. Einer der Soldaten half, Zettel mit privatem Inhalt zwischen den beiden zu transportieren. Später informierte der gleiche Wachsoldat auch Idas Familie über ihren Aufenthaltsort. Bis dahin galt sie als vermisst. Ihre Eltern verkauften das Auto, um Idas Kaution zu bezahlen.

Dann floh sie nach Europa. Clemens folgte ihr später denn als deutscher Staatsbürger wurde er schließlich freigelassen. In die DDR durften sie nicht flüchten, da sie über eine maoistische Orientierung verfügten und mit der katholischen Kirche verbunden waren, die in Brasilien teilweise in Opposition zum Militärregime stand.

Es sollte eine Liebes Geschichte werdenIm Exil, im Köln, informierten Ida und Clemens mit Hilfe von Amnesty International und einem Netzwerk von Aktivisten die westdeutsche Öffentlichkeit über die bis dahin unbekannte Realität Brasiliens. Schließlich verknüpften die brasilianischen Militärs ständig die Nazi-Geschichte in Deutschland mit den jüdischen Aktivisten die gegen das Regime in Brasilien waren.

Aber auch Deutschland brachte sie nur mit schlimmen Erinnerungen und Vorstellungen in Verbindung. “Die Hälfte meiner polnischen Familie wurde während der Nazi-Besatzung ermordet”. Eine Vergangenheit, deren Erinnerungen sie lieber nicht haben wollte.

Mit der Verabschiedung des Amnestie-Gesetzes von 1979, konnte Ida nach Brasilien zurückkehren. In dem Buch “Erinnerungen an das Exil” erzählen Ida und Clemens Schrage in diesem Jahr gemeinsam an die Geschichte ihres Lebens.

In dem Kapitel namens “Dialoge” unterhalten sich die beiden über die Anpassung in Europa und an den tragischen Bruch sie erzählen, dass sie Brasilien gegen ihren Willen in einem Moment verlassen mussten, der von großer politischer Unruhe geprägt war.

“Viele Jahre glaubten wir, dass wir am folgenden Tag nach Brasilien zurückkehren könnten. Dass die Linke an die Macht kommen würde, aber das passierte nicht”, erinnert sich Ida heute.

Seit der Zeit des brasilianischen Militärputsches sind 50 Jahren vergangen. Ida lebt heute in Köln. Clemens wohnt in Recife, Brasilien. Auf dem Sofa zwischen bunten Bildern und Erinnerungsstücken erzählt die Therapeutin Ida Schrage, was die beiden, die damals verheiratet waren und heute große Freunde sind, früher bewegte. Vor allem, ihre Lebensgeschichte ist eine derer, die weder die Zeit noch die Diktatur auslöschen konnten.


 

Credits text and photos – Tainã  Mansani,
Translation and edition –  Phyllis Bussler, Tainã  Mansani

Bio

She has Bachelor in Social Sciences completed at University of São Paulo and University of Paris X, France, with main focus in Social and Visual Anthropology. Areas of study and research were mainly related to afro-descendent people in Brazil throughout images produced by european travelers in the country in the XIXth. She is currently student in the Master International Media Studies at Deutsche Welle Academy, with scholarship from Rosa-Luxemburg Institute and also member and contributor of Krytyka Polityczna in Berlin.